Bericht Steinsetzung 2025
Bericht Steinsetzung 2025 für die Preisträger von 2024
Bildergalerie Steinsetzung 2025Zugegeben - die Zeit war ungünstig: Donnerstag, den 04. September 16:00 - Steinsetzung. Aber die Terminfindung war nicht einfach, wollte der Verein diesen noch jungen Ritus nahe am 27. August feiern, an jenen Tag im Jahr 1645, wo im Dreißigjährigen Krieg in „Altkö“ zwischen Sachsen und Schweden der erste Waffenstillstand ausgehandelt wurde. Er war ein Schritt in die richtige Richtung, in den sogenannten „westfälischen Friedens“. Darum sollten auch Friedenszeichen von Radebeul ausgehen. So gab der Kirchenvorstand 1938 der wiederaufgebauten Kirche zu Altkötzschenbroda den Namen „Friedenskirche“. Deshalb verleiht seit zwanzig Jahren die Stadt Radebeul einen gut-dotierten Couragepreis Bürgern, die couragiert handeln oder handelten, um Menschen in Not zu helfen. Die dafür Opfer brachten. Vor dem Rathaus entwickelte sich seitdem ein „Walk of fame“ – wesentlich bescheidener als in Hollywood. Allerdings hebt er nicht die „Sternchen“ auf die Bühne, die dort sowieso stehen und bestaunt und bejubelt werden, sondern jene, die auf keiner Bühne stehen und für die kein roter Teppich ausgerollt wird. Sondern zeichnen Bürger aus und möchten sie bekannt machen, die spontan mit Herz und Verstand Menschen in Not retteten, Hilfe zum Leben selbslos leisten, viel Zeit, Kraft und Geld und Ideen opfern. Manchmal sogar die eigene Gesundheit gefährden oder das eigene Leben riskieren.
Plötzlich schweben tiefe Töne über die Pestalozzistraße und werden von dem gegenüberliegenden Gymnasium zurückgeworfen. Der Jazz-Saxophonist Christian Patzer spielt, als ob die Straße atmet und erzählen will. Satte tiefe Klänge in dunklen Farben - und plötzlich - über alle Chromatik hinweg zehrt er die Töne in eine Höhe, die schmerzt. Also ob die im Elend verhungernden Sinti- und Roma-Kinder gierig betteln. Ich höre das Wimmern der 12jährigen Kindsfrau, von der Jenny berichtet, die in Sibiu mit ihrem wenige Tage alten Säugling auf der Bahnhofstoilette steht und nicht weiß, was sie tun soll. Sie wird das Kind neben den Klodeckel liegen lassen. Dann Stille. Der Obernbürgermeister begrüßte die Angereisten. Michael Müller und Sven Böttger vom Coswiger Verein Partnerschaft mit Osteuropa und Jenny Rasche mit 6 Mitgliedern des Vereines Kinderhilfe für Siebenbürgen. Dazu Vereinsmitglieder und Vorstände des Couragepreisvereines, der Oberbürgermeister und einige Bürger und Gemeindeglieder des Kirchspieles in der Lößnitz.
Jenny Rasche’s Lebens – und Rettungsweg für verwahrloste, sterbende Kinder auf der Straße in Sibiu hat Antje Schneider-Dokumentarfilmerin – über Jahre begleitet. Wer sehen und hören will, wie Jenny zu dieser Arbeit fand, schaue sich die 6.Kurzfilme in der Mediathek ARD an. Sie beschreiben den Weg einer Frau und Mitarbeiterschaft, deren Empathie für viele Kinder ein Weg ins Leben bedeutet. Mit zwei Kindern fing es an. Einer war mit nach Radebeul gekommen. Er wird in Wernigerode die Berufsschule besuchen und Tischler werden. Der Verein kümmert begleitet und versorgt heute mehr als 2000 Kinder. Der Verein gliedert sich inzwischen in Facheinheiten. Straßensozialarbeit und Familienhilfe: Betreuung und Bildung von 43 Kindern in 7 Kinderhäusern. Sponsorenarbeit. Einsammeln von Pflegemitteln, Lebensmitteln und vieles mehr. Inzwischen beteiligt sich der Staat mit etwa 20% der Kosten für Kinder in der Familienpflege bzw. Familienhilfe. Das weckt Neider. Und überhaupt, was soll das, Geld für Roma- und Sinti Kinder auszugeben. Das sind doch sowieso keine richtigen Menschen. Oder Kinder mit mehrfachen Behinderungen oder Einschränkungen überhaupt. Jenny hält es nicht aus, wenn ihr zugetragen wird, dass für behinderte Kinder vorgesehene Lebensmittelkisten in einem kommunalen Heim von Mitarbeitern nach Hause genommen werden und den Kindern Abwasser zum Trinken gegeben wird statt Trinkwasser, Milch, Saft. Sie hält es nicht aus, wenn in bestimmten Pflegeeinrichtungen für behinderte Kinder, nur 300 ml Wasser pro Kind ausgegeben werden. Sonst würden die Kinder zuviel pinkeln und müssten mehrmalsam Tag gewickelt werden. So kommt man gut mit einer Pamperwindel pro Trag hin. Pampers sind teuer. In den Einrichtungen des Kinderhilfevereines wechselten die Mitarbeiter inzwischen auf normale Windeln, um Kosten zu sparen. Freilich bringen textile Windeln mehr Arbeit: Auswaschen, Waschen, Trocknen, Falten, Stappeln, öfters wechseln. Jenny sucht Hilfe und meldet der neuen Jugendamtsleiterin solche Zustände. Die Amtsleiterin leugnet solche Verhältnisse. Das Team des Kinderhilfevereines hat eine Idee. Sie suchen Mitarbeiter, die sich gegen solche Verhältnisse und für die Kinder engagieren wollen. Sie filmen heimlich die lagerähnlichen Verhältnisse. Jenny findet einen unabhängigen TV-Sender, der einen Film über dieses Kinderheim dreht. Auf Aufstand bricht los. Jenny hat viel auszuhalten. Man streicht dem Verein Gelder. Es wird über die Deutschen geschimpft. „Wieso haben die jetzt soviel Macht?“ Jenny wird bedroht. Doch die Behörden müssen kontrollieren. Auch als sie feststellen, dass Jenny wahrheitsgemäß solche Verhältnisse beschrieben hat, bleibt der Druck gegen sie. Einiges wird geändert und verbessert, doch nichts grundlegend. Menschen – und Kinderrechte spielen in Rumänien offenbar keine Rolle. Aber Jenny kann nicht anders als sich dagegenstellen – um der Kinder willen. „Meine Oma sagt immer. Bleib bei der Wahrheit, die Wahrheit wird Euch frei machen.“ Übrigens, eine biblische Erkenntnis. Sie bleibt dabei und hofft, dass wir sie dabei unterstützen.
Michael Müller fängt beim Abendessen zu erzählen an. Etwa 15 Mitglieder des Vereines tragen im Wesentlichen die Arbeit. Sammeln, organisieren, treiben Geld auf, planen und fahren nach der Ukraine, verteilen Güter. Bisher verliefen diese Touren in der Regel fast ohne Schwierigkeiten. Jetzt wird Lemberg mit Raketen und durch Drohnen beschossen. Die Mannschaft meidet manche Häuser. Es muß vorsichtiger agiert werden. Bestimmte Regionen werden nicht mehr angefahren. Natürlich werden zu Hause und in der Stadt die politischen Verhältnisse diskutiert. Die Arbeit des Vereines ist in der Stadt bekannt. Kritiker werden lauter. Warum noch Hilfe für die Ukraine? Sind sie nicht selber schuld? Die Schuldfrage wird oft gestellt. Putin sei zu diesem Krieg durch den Westen provoziert worden. Sein Wunsch, einer gemeinsamen Sicherheitspolitik für Europa wird bis heute ignoriert.
Müller reagiert auf solche Argumente meist knapp, sagt er: Putin hat den Krieg angefangen, egal, was vorher war. Es rechtfertigt keinen Krieg. Wir fahren und helfen weiter, selbst wenn es gefährlich wird. Am Ende des Abends reisen die Preisträger ab. Einer mit der Straßenbahn Nr.4 ein paar Kilometer weiter, die anderen mit Autos in den Harz. Das Pflegekind F, jetzt schon großer Schüler, wird ab Montag die Berufsschule besuchen. Sein fast leiblicher Bruder wird auf das Gymnasium gehen und will das Abitur ablegen, um zu studieren. Jenny und die Anderen fliegen Montag von Leipzig nach Bukarest, mitten hinein in elende und schwierige Verhältnisse. Einige von uns schauen sehr nachdenklich auf diese „Theresia für Roma und Sinti-Kinder“. Es sind Berge zu versetzen. Es braucht einen starken Glauben, dass anzugehen.
Ich wünsche ihr und allen Mitarbeitern solchen Glauben. Und Jenny bräuchte den Radebeuler Couragepreis wöchentlich – für ihre und aller Mitarbeiter Arbeit.
Christian Mendt